Die Ukraine steht am Scheideweg, nicht zum ersten Mal in der tragischen und unglücklichen Geschichte dieses Landes. Seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 stehen der Staat und die Menschen der Ukraine vor großen Herausforderungen und Umwälzungen. Im November 2013 kam es zu Protesten auf dem Maidan in der Hauptstadt Kiew, als der damalige Präsident Viktor Janukowitsch das in Aussicht gestellte Assoziierungsabkommen mit der EU zurücknahm und eine erneute Annäherung an Russland als Partner ankündigte. Im Februar 2014 wurde versucht, die Protestbewegung gewalttätig niederzuschlagen, es gab über 100 Tote. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland und der militärische Konflikt im Osten des Landes stellen das Land vor eine schwere Zerreißprobe.
Seit 2014 kamen im Krieg im Donbass mehr als 10.000 Menschen ums Leben, Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen. Am 24. Februar 2022 erfolgte schließlich der russische Überfall auf die Ukraine. Seitdem herrscht Krieg. Das ursprüngliche Kriegsziel Russlands, die Einnahme der Hauptstadt Kiew und ein schneller Regimewechsel, musste nach heftigem Widerstand aufgegeben werden um sich auf die Offensive in den östlichen Teilen der Ukraine zu konzentrieren. Im Zuge der Rückeroberung von Dörfern und Städten wurden Spuren systematischer Massaker und schrecklicher Kriegsverbrechen entdeckt. Seit Anfang September 2022 erzielten ukrainische Truppen bei Gegenoffensiven Erfolge und konnte die Besatzer aus dem Großraum Charkiw zurückdrängen. Russland reagierte mit einer Teilmobilmachung, der völkerrechtlichen Annexion der Süd- und Ostukraine und der systematischen Bombardierung der ukrainischen Infrastruktur.
Mehrere tausend Menschen haben am 17. Mai 2021 in Ceuta die europäische Außengrenze in Nordafrika überquert. Aus Marokko kommend schwimmen oder gehen sie den Grenzzaun entlang, der an beiden Enden des 19 Quadratkilometer großen Ceuta ins Meer ragt. In Ceuta sind sie zwar immer noch auf dem afrikanischen Kontinent, aber auf europäischem Boden. Eine Reise von ein paar Minuten, die alles bedeutet. Am nächsten Tag sind es nach Angaben der spanischen Regierung insgesamt 8.000 Menschen, die es geschafft haben, darunter Familien und schätzungsweise 1.500 Minderjährige.
Der Atlantik vor Mauretanien gehört zu den reichsten Fischgründen der Welt, der Export von Fisch zählt zu den wichtigsten Einkommensquellen des Landes, der Fischereisektor ist der wichtigste Arbeitgeber und Fisch stellt das Grundnahrungsmittel der Bevölkerung dar. Doch die Bestände schrumpfen, es droht die unwiderrufliche Überfischung durch die boomende Fischmehlindustrie. Auch Beifang und Kleinfische, die nicht für die Konsumenten in Europa taugen und traditionell zur Versorgung der lokalen Bevölkerung dienten, werden zu Fischmehl verarbeitet. Früher konnten die Fischer zumindest ihre Familien versorgen, heute reicht der Fang oft nicht mehr zum Überleben. Die Fischer in Nouadhibou und Nouakchott kämpfen täglich gegen drohende Arbeitslosigkeit, die weithin grassierende Korruption und die immer schwierigeren und gefährlicheren Arbeitsbedingungen. Die großen Trawler der chinesischen Fischmehlfabriken haben einen enormen Bedarf an Fisch und setzen sich über alle Regeln hinweg. Längst ist das auch eine der wichtigsten Fluchtursachen in einem unwirtlichen Land, das außer den Eisenerzvorkommen in Zouerate fast vollständig vom Fischfang und der Fischindustrie lebt.
Die chinesische Gemeinde in Nouadhibou führt ein absurd trauriges und isoliertes Leben. Die Arbeiter leben weitgehend abgeschottet. Außerhalb der Fabriken sieht man sie nur beim Einkaufen in einem der chinesischen Supermärkte oder in einem der Restaurants, die vor allem als Bordelle funktionieren.
Das größte Problem ist jedoch die Verschmutzung des Meeres durch die Fischmehlfabriken. Die Rückstände der Produktion werden teilweise direkt zurück ins Meer gepumpt, das Wasser ist grau, aus den Schornsteinen kommt schwarzer Dieselqualm. Der Gestank im Umkreis der Fabriken ist unerträglich, obwohl in den Tagen an denen wir vor Ort sind, relativ wenig produziert wird, da die Fänge sehr gering sind. Wenn die Kapazitäten ausgelastet sind und in jeder der Fabriken hunderte von Tonnen Fisch pro Tag verarbeitet werden, kann man in einigen Teilen der Stadt nicht aus dem Haus gehen oder das Fenster öffnen. Viele Menschen leiden an chronischen Atemwegserkrankungen.
Bis jetzt habe ich als Fotograf noch nie in einem solchen Format gearbeitet, das man fast als Tagebuch bezeichnen könnte. Aber nach langer Überlegung ist bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass das vielleicht die adäquate Art und Weise ist, die Bedrohung und das Leben mit Covid-19 zu dokumentieren und zu verarbeiten. Durch meine Arbeit als Fotograf musste ich mich in manchen Situationen mit Gefahr oder Bedrohung auseinandersetzen, aber dieses Mal ist es anders, diffuser. Diese Gefahr ist unsichtbar, überall und nirgends, grenzenlos. Es gab keine Klarheit, wie und welche Maßnahmen effektiv Schutz bieten, keine Protokolle oder Automatismen, die selbstverständlich abgespielt wurden. In den ersten Tagen der Ausgangsbeschränkungen spürte ich die Angst in meiner Familie, das Bedürfnis nach Information. Mein Vater hörte aufmerksam Nachrichten im Radio und berichtete uns über neue Maßnahmen. An unserer Gartentür hing eines Morgens eine selbstgenähte Atemschutzmaske, die mir eine Nachbarin gemacht hatte. Die Straßen waren leerer, der nahe Grenzübergang nach Österreich geschlossen. Das tägliche Leben verändert sich, Corona ist im Leben präsent, jeden Tag, andauernd – und der Umgang mit dem Virus hinterlässt Spuren.
In wenigen Tagen hat sich unser Leben verändert. Wir verbringen fast den ganzen Tag zu Hause. Ich lebe in einem Haus mit meiner Frau, meinen zwei Töchtern und meinen Eltern. Das Einkaufen erledigen wir in wenigen Gängen, kochen und essen immer zusammen. Meine ältere Tochter vermisst ihre Freunde, die sich nicht mehr fast täglich im Kindergarten sieht oder besuchen kann. Eines Morgens will sie eine Landkarte zeichnen, mit den Orten, an die wir gehen dürfen. Der Wald hinter unserem Haus gehört uns in diesen Tagen fast allein. Wie viele habe ich mich gefragt, wie meine Arbeit als Fotograf in dieser Zeit von Nutzen sein könnte. Als die Tage vergingen habe ich gesehen, dass dieses Projekt nicht nur eine Beschäftigungstherapie ist, sondern in gewisser Weise zeigen kann, wie unsere Gesellschaft mit Krisen umgeht, sich adaptiert und vielleicht sogar ändern könnte. Obwohl wir selbst glückliche Tage verbracht haben, verfolgten wir mit großer Traurigkeit die Lage in Italien und vor allem in Spanien, wo die Familie meiner Frau lebt. Und auch hier sind es zunächst die am meisten schutzbedürftigen Menschen, die der Bedrohung am stärksten ausgesetzt sind und im Falle einer Erkrankung mit schlimmen Folgen rechnen müssen.
Irgendwie hat man das Gefühl, dass man sich unbewusst ziemlich schnell an drastische Veränderungen gewöhnt. Die leeren Straßen, die geschlossenen Läden, die abgeriegelten Kirchen… Auch meine Mutter sucht Halt im Glauben, betet täglich. Die Karwoche steht vor der Tür, fast unmöglich, nicht an den Tod zu denken und welche Folgen diese Krise haben könnte. Ich habe viele Verwandte in Spanien, und die Situation dort ist einfach unerträglich wegen der schieren Zahl von Opfern, wie ich immer wieder aus persönlichen Geschichten höre. Die Menschen sterben in der Regel allein in den Altenheimen, ohne die Möglichkeit, dass ihre Lieben Abschied nehmen können.
Die Menschen werden wegen der Corona-Epidemie weitgehend in ihre Häuser verbannt, viele Geschäfte sind geschlossen, und einige Unternehmen steuern auf den Konkurs zu. Viele stellen sich bereits die Frage: Wie lange muss das Land im Notbetrieb bleiben? Wann macht es Sinn, über Lockerung nachzudenken? Die Stimmung ist ambivalent, auf der einen Seite scheint viel weiter zu gehen, auf der anderen Seite scheint das Schlimmste nicht vorbei zu sein, wenn man sich die Entwicklungen in Frankreich oder Großbritannien anschaut, wo die Zahlen stark ansteigen... Die Welt scheint sich wirklich in einem kritischen Zustand zu befinden. Das Corona-Virus breitet sich rasch in den verschiedenen Ländern aus, mit einem Ausmaß und einer Schwere, die seit der verheerenden Spanischen Grippe 1918 nicht mehr zu beobachten war. Wenn keine koordinierten globalen Maßnahmen ergriffen werden, um sie einzudämmen, wird die Ansteckung bald auch zu einer wirtschaftlichen und finanziellen werden. Die Frage, die ich mir auch stelle, ist, ob es ein Umdenken geben wird, wenn es vorbei ist…
Als ich das Krankenhaus in Agatharied besuche, ist die Lage dort in diesem Moment zwar entspannt, eine Woche vorher waren aber schon einmal fast die intensivmedizinischen Kapazitäten ausgeschöpft. Auf der neu eingerichteten Civid-Station und auf der Intensivstation sehe ich zum ersten Mal Menschen, die sich in Folge einer Corona-Infektion in kritischem Zustand befinden. Das ganze Krankenhaus wurde praktisch in zwei Zonen unterteilt, Neuaufnahmen mit Verdacht auf eine Covid-Erkrankung werden am Eingang oder in der Notaufnahme getestet. Zum Zeitpunkt meines Besuchs mussten nur zwei Patienten mit Coronavirus auf der Intensivstation beatmet werden. Die Ärzte rechneten aber bereits mit einem Wiederanstieg der Fallzahlen, wenn die Beschränkungen gelockert werden. Die Ärzte und die Pfleger hier setzen sich jeden Tag aufs Neue der Gefahr einer Infektion aus, Ihnen gebührt großer Respekt, sie leisten ein enormes Arbeitspensum. Ein Patient, der mich in seinem Zimmer empfängt, wurde gemeinsam mit seiner Frau im Krankenhaus Agatharied eingeliefert. Seine Frau ist verstorben, er befand sich auf dem Weg der Besserung, allerdings unter starken Schmerzen. Sein einziger Wunsch nach seinem großen Verlust, das wiederholte er mehrmals, sei wieder einmal eine Nacht richtig durchschlafen zu können.
In den letzten Wochen nahm der Protest gegen die Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens stark an Fahrt auf Tausende Menschen demonstrieren an Samstagen in München und in anderen Städten in Deutschland, oft unter Missachtung der Abstandsregeln. So wichtig das Recht auf Protest und Demonstrationen in einer demokratischen Gesellschaft sind, machen diese Veranstaltungen einfach Angst. Ich trage meine Maske vor allem um andere zu schützen, dort werde ich ausgelacht und aufgefordert, die Maske doch abzunehmen und endlich zu begreifen, dass alles nur eine große Verschwörung ist. Hier machen die Teilnehmer und auch viele die einfach an der Absperrung stehen bleiben, gemeinsame Sache mit Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern, ein schmaler Grat zwischen dem ursprünglichen Anliegen, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in Frage zu stellen und der Leugnung einer Pandemie, die hunderttausenden von Menschen bereits das Leben gekostet hat. Grundrechte wurden in Deutschland eingeschränkt, ja, das deckt auch die Verfassung. Darüber kann diskutiert werden, aber bei einer Demonstration geht es nicht nur um einen selbst sondern auch darum, wie weit man sich von dem gefährlichen Schwachsinn, der mit Vernunft oder Realität nichts mehr zu tun hat, vereinnahmen lässt.
Im Osten der griechischen Insel Lesbos liegt das kleine Dorf Moria. Nur ein paar hundert Meter davon entfernt, liegt das Areal, das den Namen des Dorfes in der ganzen Welt bekannt gemacht hat: Camp Moria, das zentrale Aufnahmelager der Insel für Geflüchtete, die hier das Meer überqueren und wo derzeit mehr als 20.000 Menschen in kleine Zelten, unter Planen, provisorischen Bretterbuden oder Wohncontainern auf engstem Raum zusammenleben. Die Lebensumstände sind verheerend, menschenunwürdig und die Lage verschlechtert sich ständig. Viele der Bewohner und Bewohnerinnen sitzen seit Jahren in Moria fest, die meisten von ihnen stammen aus Afghanistan und aus Syrien, aus von Krieg und Terror heimgesuchten Gebieten.
Sie haben eine gefährliche, lange Reise hinter sich, haben ihre Existenz aufgegeben und alles zurück gelassen, um Asyl zu finden, stecken aber jetzt in einer Falle fest, die sich von Tag zu Tag tödlicher erweist, gefangen zwischen Grenzen, zwischen Staaten. Krankheiten, Kriegsverletzungen und Traumata plagen die Menschen. Not und Mangel sind an der Tagesordnung. Immer wieder kommt es zu Gewalt. Die Angst vor Abschiebung, die extreme Situation im Lager und das Erlebte auf der Flucht oder in den Heimatländern fördern das Entstehen von psychischen Erkrankungen und Kriminalität. Immer wieder kommt es zu Bränden, die mehrere Menschenleben forderten. Noch vor wenigen Wochen, nach der Auflösung des Geflüchteten-Pakts zwischen der türkischen Regierung und der EU dominierte die Situation auf Lesbos und an der griechisch-türkischen Grenze die Medienlandschaft. Die Meldungen über die Ausbreitung des Corona-Virus weltweit ließen die Stimmen aus Moria verstummen. Jetzt gibt es erste Fälle im Lager, ein Ausbruch dort wäre katastrophal, ein Virus findet dort idealen Nährboden für eine schnelle und fatale Verbreitung…
In der Bibel bringen drei weise Könige aus dem Orient drei Geschenke zur Krippe in Bethlehem, wo Jesus Christus geboren wurde: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Weihrauch und Myrrhe, so glaubt man, waren genau so wertvoll und wurden mit Gold aufgewogen. Weihrauch oder Olibanum ist ein aromatisches Harz, das seit Jahrtausenden für kultische Handlungen in verschiedenen Religionen verwendet wird. Der Bedarf für Weihrauch, Ölessenzen, Parfüms und Naturarzneimittel ist ein wachsender Markt, die Nachfrage steigt ständig. Das begehrte Harz stammt von Bäumen der Gattung Boswellia, die vor allem am Horn von Afrika, auf der Arabischen Halbinsel und in Teilen Indiens endemisch sind. In der Republik Somaliland, die de facto unabhängig ist, aber international nicht anerkannt ist, sind Weihrauch und Myrrhe die wichtigsten Exportgüter – aber die Bestände stehen unter Druck: die steigende Nachfrage und nicht nachhaltige Erntetechniken bedrohen die Bestände der Weihrauchbäume, besonders der endemischen Art Boswellia frereana, deren Harz als das teuerste und hochwertigste gilt. Für die Menschen in Somaliland ist die Ernte und der Verkauf des Weihrauchs die einzige Einkommensquelle. Um das Harz zu gewinnen, werden die Bäume angeritzt, der Saft, der aus der Wunde sickert, um diese zu schließen, trocknet zu einem Harzschorf, der nach einer gewissen Zeit abgeschabt wird. In den Sortierstuben von Erigavo, im östlichen Bergland Somalilands, wird die Ernte gesäubert und nach Qualitätsstufen sortiert, bevor sie über Aufkäufer und Großhändler in den Export gelangt. Doch mit steigender Nachfrage bringen Übernutzung und die Verschlechterung des Ökosystems die wirtschaftliche Grundlage für die Bevölkerung an den Rand des Zusammenbruchs. Für die Menschen in Somaliland bedeutet der unsichere Status und die Isolierung des Landes zudem, dass das Weihrauchharz zumeist im Rohzustand ausgeführt wird, da Investoren nicht willig sind, im Land in Destillerien zu investieren um vor Ort Mehrwert zu schaffen. Und ohne dass neue Bäume gepflanzt werden die Baumbestände innerhalb der nächsten Jahrzehnte verschwunden sein.
Die Bedeutung des Permafrosts für das Weltklima ist bekannt und wird doch noch immer unterschätzt. In Tscherski, einer ehemaligen Goldgräberstadt an den Ufern des Kolyma im Norden Jakutiens trotzen die Menschen den Folgen des Auftauens des schützenden Eispanzers unter ihren Füßen. Dabei bildet sich der sogenannte Thermokarst, Bodenabsenkungen und Bodeneinbrüche, die zu ausgedehnten Mooren werden und sich mit Wasser füllen. Vor Ort forschte der Geophysiker Sergej Afanassjewitsch Zimov jahrelang über das Abschmelzen des Dauerfrosts und entwickelte seine Theorien, wie diese Entwicklung eventuell aufgehalten werden könnte. Sein groß angelegtes Experiment eines Pleistozän-Parks zur Wiederherstellung einer Urlandschaft, die nach der Megaherbivoren-Hypothese typisch für das Gebiet war, aber durch das Aussterben der großen Pflanzenfressern verloren gegangen ist soll zur Verminderung oder zumindest Verzögerung der globalen Erderwärmung beitragen. Permafrostböden binden weltweit rund 1,7 Billionen Tonnen Kohlenstoff, doppelt so viel wie er in der Form von Kohlendioxid in der Atmosphäre vorkommt. Als Zimov die ersten Bodenproben regiert im fernen Kreml noch Leonid Breschnew. Damals war der Permafrost noch durchschnittlich minus 7°C kalt. Inzwischen zeigen die Messstellen rund um Tscherski -4°C, an manchen Stellen nur noch -1,5°C. Die Berechnungen decken sich mit anderen internationalen Forschungsergebnissen. Nach den Daten des International Panel on Climate Change erwärmten sich etwa die Permafrostböden in Alaska von den 1980er Jahren bis in die Mitte der 2000er Jahre um 2 bis °C. Noch bedrohlicher: in der Arktis sollen die Temperaturen doppelt so stark steigen wie im globalen Durchschnitt. Die Auswirkungen dieser Entwicklung werden katastrophal sein, in und um die Stadt Tscherski kann man sie beobachten. Die Stadt, 1931 für die Exploration der Gegend und den Abbau von Rohstoffen gegründet, gleicht heute einer Geisterstadt. Von damals 11.000 Bewohnern sind nur etwas über 2.800 geblieben, die einstigen Goldminen sind geschlossen. Blinde Fenster, bröckelnde Fassaden und schiefe Häuser. Gebäude werden hier auf Pfählen gebaut, die mehrere Meter weit in den Böden gerammt werden. So haben die Häuser auch im Sommer Halt, wenn die oberste Schicht des Permafrosts auftaut. Doch längst kriecht die Wärme tiefer, die Pfähle verlieren ihren Halt, in den Mauern bilden sich Risse, die Bauten versinken. Die Stadt rutscht auf dem Gletscher Richtung Abgrund.
(Reportage erschienen in Terra Mater Magazin Nov/Dez 2019, Text von Simone Brunner)
Jedes Jahr finden sich zehntausende Chassidische Juden aus aller Welt in der ukrainischen Stadt Uman (ca. 90.000 Einwohner), 210 Kilometer südlich der Hauptstadt Kiew ein, um Rosh Hashanah, das jüdische Neujahrsfest zu feiern. Rosch ha-Schana fällt nach dem jüdischen Kalender auf den 1. Tischri, dem siebten Monat des religiösen jüdischen Kalenders, der nach dem gregorianischen Kalender in den September oder in die erste Oktoberhälfte fällt. Das genaue Datum wechselt von Jahr zu Jahr. Die Pilger finden sich am Grab von Rabbi Nachman ein, dem Enkel des Begründers des Chassidisimus, Baal Shem Tov, der die Bewegung wiederbelebt hat und die mystische, kabbalistische Strömung mit dem Studium der Thora in Einklang brachte. Der Legende zufolge, nach dem sein Haus ein Breslau während eines Brandes zerstört wurde, kam er auf Einladung von Juden aus Uman in die Stadt und verkündete, dass Uman ein guter Platz für eine letzte Ruhestätte sei, da dort die Tausende Juden begraben liegen, die 1768 einem Pogrom zum Opfer fielen. Am letzten Rosh Hashanah seines Lebens soll er seinen Anhängern gesagt haben, dass er sie sich jedes Jahr zu diesem Fest in seiner Nähe wünschte. Nach der Revolution 1917 wagten die Pilgerfahrt nur noch vereinzelte Gläubige. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckte ein Rabbiner aus New York das Grab des Rabbis, die ersten Reisen waren noch illegal, in den letzten Jahren der Existenz der Sowjetunion gab es bereits von Intourist organisierte Reisen. Bereits Gorbatschow erlaubte 1988 200 israelischen Chassidim die Fahrt nach Uman, um dort das jüdische Neujahrsfest zu begehen. Nach dem Kollaps der Sowjetunion entwickelte sich die Stadt zur wichtigsten Pilgerstätte der Chassidim, offizielle Zahlen sind schwer zu bekommen, in diesem Jahr kursierte die Zahl von bis zu 50.000 Pilgern. Uman entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einem bedeutenden jüdischen Zentrum. Vor der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg waren mehr als 60% der Einwohner Juden. Die Nazis deportierten nahezu alle Juden Umans, über 15.000; auch der jüdische Friedhof wurde eingeebnet, man versuchte die Geschichte der Chassidischen Juden auszulöschen. Adolf Hitler und Benito Mussolini besuchten gemeinsam die Front bei Uman, um unter anderem ein italienisches Expeditionskorps zu besuchen. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten findet an einem kleinen See in unmittelbarer Nähe der Puschkin-Straße statt, am Abend des zweiten Tages des Neujahrsfestes. Zu Tausenden finden sich die Pilger am Ufer ein, um sich von ihren Sünden zu lösen. Das geht zurück auf die Tradition des Taschlich, wo es heißt „Du sollst werfen“, die symbolische Lossagung von angehäuften Sünden in ein Gewässer während des Neujahrsfestes Rosh Hashanah. So ist es Tradition am Nachmittag des ersten Tags des Neuen Jahres, in diesem Jahr am zweiten Tag, da Rosh Hashanah auf einen Schabet gefallen ist, an einen See oder einen Fluss zu gehen, um sich seiner Sünden zu entledigen. Am ersten Tag ist die Nacht erfüllt von Gesang und Musik. Auf den Plätzen und auf der Straße wird getanzt, in der unmittelbaren Umgebung der zentralen Synagoge, wo sich das Mausoleum des Rabbi befindet wiegen die Gläubigen vor und zurück, rezitieren Passagen aus der Thora, singen, beten geraten in ekstatische Zustände. Es ist ein Fest der Dankbarkeit, man spürt die Erfüllung, was diese Pilgerreise für die Gläubigen bedeutet und sieht das Glück in den Augen der Menschen, die sich auf der Puschkin-Straße drängen. Das gesungene Gebet, der Niggun, war Rabbi Nachman ein wichtiges Anliegen, eine Abfolge der Niggunim entspricht dem Universum selbst, aus der Hingabe ergibt sich ein großes Glücksgefühl und ein direkter Zugang zum Schöpfer selbst. Der größte Andrang herrscht in der Synagoge, die um das Grab des Rabbi errichtet wurde. Dort wird Tag und Nacht gebetet und aus der Thora gelesen. Frauen sind nicht erlaubt auf dem heiligen Grund, es gibt strenge Regeln, auch Sephardische und Aschkenasische Juden beten getrennt. Hotels und Pensionen sind weit im voraus ausgebucht. Viele Einwohner der Stadt vermieten ihre Wohnung an Pilgergruppen und ziehen zu Verwandten. Auch zur Verfügung stehende Hallen werden zu temporären Synagogen umfunktioniert. Ungefähr 2000 Euro lassen sich viele den Aufenthalt über ungefähr fünf Tage in einer Privatwohnung kosten. Für die Stadt Uman ist die Pilgerfahrt inzwischen ein Großereignis, von dem man einige Monate zehren kann. War es früher noch ein Abenteuer, nach Uman zu kommen, übernehmen heute Touristikunternehmen die Logistik und bringen die Pilger vom Flughafen direkt in das heilige Areal.
Die bolivianische Revolution und das Versprechen vom „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ und Hoffnung für viele Menschen, ist am Ende. Weit entfernt von ihrem ursprünglichen Ziel, Wohlstand und Gerechtigkeit vor allem für die Armen zu bringen, stehen die Zeichen auf eine weitere Verschlimmerung der jetzt schon desolaten Lage und eine tiefere Spaltung der Gesellschaft. Das Abdriften in Autoritarismus, die eskalierende Gewalt, Zensur und Gleichschaltung der Medien auf der einen Seite und das gefährliche Spiel mit der Provokation und der Drohkulisse einer ausländischen Intervention, um einen Regimewechsel herbeizuführen auf der anderen Seite haben zu einer Spirale geführt, die immer weiter in Richtung einer unvermeidbaren Konfrontation führt und nicht mehr zu durchbrechen scheint. Die hehren Zielsetzungen, die unter Hugo Chávez ausgegeben wurden, verblassen in der Erinnerung der Menschen. Weitreichende Korruption, eine steigende Zahl von Gewaltdelikten und die Unfähigkeit der Regierung, wirtschaftliche Engpässe zu regulieren, haben das Land geprägt. Aber es sind auch die Sanktionen, vor allem der Vereinigten Staaten, die das Land an den Rand des Abgrunds gebracht haben. Venezuela kann weder auf ausländische Kredite hoffen noch seine Ressourcen auf dem Weltmarkt gegen Devisen veräußern. Die Inflationsrate ist grotesk und weltweit die höchste, Nahrungsmittel sind in Venezuela mehr als genug vorhanden, nur können sie die meisten Menschen einfach nicht bezahlen. Ende Februar 2019 konnte die Regierung die Kraftprobe mit dem selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó noch für sich entscheiden und die Reihen schließen, der Konflikt ist aber nicht beendet. Kann sich Nicolás Maduro halten, wird es zwangsläufig zu einer weiteren Verschärfung seiner repressiven Politik kommen, die Brüche werden noch tiefer, Klientelismus und Militarismus werden weiter wachsen und Venezuela wird international isoliert bleiben. Ein Sieg der Opposition würde wohl einen langen Prozess der Säuberungen und eine Privatisierungswelle mit sich bringen. Venezuela würde seine Auslandsschulden und Rückzahlungen begleichen müssen. Die Sozialprogramme, das Herzstück der bolivarianischen Revolution, würden höchstwahrscheinlich weitgehend zurückgenommen. In beiden Fällen sind es die Menschen, denen es an Nahrung und Medikamenten fehlt, die auf der Strecke bleiben, keine dieser Lösungen hält Hoffnung auf eine bessere Zukunft bereit.
Die kaum bekannte autonome Republik am Nordufer des Schwarzen Meeres sieht sich als unabhängig von Georgien, von dem es sich in einem grausam geführten Krieg in den Jahren 1992 von 1993 abspaltete und der in ethnischen Säuberungen endete. Russland tritt als Schutzmacht auf, die Narben des Bürgerkriegs sind heute noch sichtbar und spürbar, die Gesellschaft ist schwer traumatisiert. In Ochamchira, im Westen des Landes, unweit der immer noch unsicheren Grenzprovinz Gali, hat sich Vater Sergej mit seinen Exorzismusritualen einen Namen gemacht, der inzwischen auch weit über die Grenzen des kleinen Landes hinaus bekannt ist. Auf dem Kirchengrundstück haben zahlreiche Menschen Zuflucht gefunden, die unter psychischen Krankheiten leiden und Zeichen von „Besessenheit“ aufweisen. Ethnische Spannungen, zerrissene Familien, Isolation, Perspektivlosigkeit sind die alltägliche Realität eines der sogenannten „eingefrorenen Konflikte“ an der Peripherie des ehemaligen Sowjetreiches, wo Russland seine geopolitischen Ambitionen durchsetzen will.
Lokalexpertise und Kontaktvermittlung: Annika Gläser
Nachdem die eisigen Temperaturen zurückgingen, schien das Leben auf dem Areal zwischen den baufälligen Fabrikhallen am Hauptbahnhof in Belgrad zurückzukehren. Die zeitweise über 3000 Geflüchteten, die meisten aus Afghanistan und Pakistan, spielten wieder jeden Tag Kricket auf dem brüchigen Beton zwischen den Verladerampen und auf der Brache vor der Baustelle, auf der das umstrittene Milliardenprojekt der „Belgrade Waterfront“ entsteht, der das Areal in den nächsten Monaten weichen soll. Die baufälligen Industriehallen dienten diesen Menschen seit über zwei Jahren als Unterschlupf, unter prekären Bedingungen, sie litten an Hunger und Kälte – und verzweifelten vor allem an ihren gescheiterten Hoffnung über die Balkan-Route nach Westeuropa zu gelangen. Belgrad war einer der wichtigsten Knotenpunkte auf dieser Fluchtroute, mehr als eine Million Flüchtlinge versuchten von hier seit 2015 zu und über die Grenzen von Ungarn, Kroatien oder Rumänien zu gelangen. Nachdem die Balkanstaaten ihre Grenzen im März 2016 offiziell geschlossen hatten, gelangten immer noch Tausende über die Grenzen von Bulgarien und Mazedonien nach Serbien, von wo es kein Weiterkommen mehr gab. Von den mehr als 10.000 Geflüchteten, die sich Anfang 2017 in Serbien befinden, lebten zeitweise mehr als 1500 in den Ruinen der Lagerhäuser am Belgrader Hauptbahnhof. Für viele ist das Risiko, von dort abgeschoben zu werden geringer als in einer der offiziellen staatlichen Einrichtungen. Die Hoffnung, nach Kroatien oder Ungarn zu gelangen bleibt trotz der stark überwachten Grenzen, die meisten der jungen Männer haben bereits mehrere Versuche hinter sich, die Grenzzäune zu überwinden, oft wurden sie Opfer gewalttätiger Übergriffe der Grenzbeamten, wurden geschlagen, man hetzte Hunde auf sie, beschoss sie mit Tränengasgranaten und nahm ihnen oft den Rest ihrer Habseligkeiten ab. Doing the game, wie die gefährlichen nächtlichen Versuche genannt werden, bleibt die einzige Perspektive. Tagsüber stehen sie in kleinen Gruppen vor den alten Hallen mit ihren undichten Dächern und zerbrochenen Fensterscheiben. Ins Innere dringt nur wenig Licht, zu harten Strahlen gebündelt, die an einzelnen Punkten die Schlaflager erkennen lassen. Im Dunkel glimmen Feuer, in denen Müll und Eisenbahnschienen verheizt werden, die toxische Dämpfe absondern, der Rauch ist beißend und macht das Atmen schon nach wenigen Minuten unerträglich. Leise Stimmen, ab und zu bewegt sich ein Schatten durch die Rauchschwaden, die schwach züngelnden Flammen lassen die Gesichter der Männer, die um die Feuerstellen sitzen im warmen Licht schimmern.
Nachdem die Donau auf über 2800 km sechs Länder hinter sich gelassen hat, entleert sie sich in das Schwarze Meer, in einer einzigartigen und unzugänglichen Landschaft, in Rumänien und im südlichsten Zipfel der Ukraine, am Ende Europas. Das Donaudelta ist eine Welt der Armut, der Rückständigkeit und voller Abschiede, geprägt von extremen Gegensätzen; aber auch eine magische Welt, eine Traumwelt, unstet, flirrend, nicht zu greifen oder zu begreifen.
Viele Menschen verlassen in diesen Zeiten das für sie immer lebensfeindlichere Delta, eine isolierte, abgelegene Gegend, aus der Zeit gefallen und gefühlte Lichtjahre von der rumänischen Hauptstadt entfernt. Diejenigen, die das Delta verließen und zurückgekehrt sind und die, die bleiben, sind keineswegs unempfänglich für die fast irreale Schönheit des Deltas, ein Lebensraum, der sich ständig verändert und für seine Bewohner zu allen Zeiten harte Prüfungen bereit hält.
Tejgaon Slum Area in Dhaka. Bangladeschs Hauptstadt wächst, die Bewohner werden immer weiter an den Rand gedrängt, auch die Ärmsten, die in den Slums entlang der Eisenbahnschienen noch in zentralen Lagen leben. Dhaka wird, einer Studie zufolge, immer arm bleiben, auch wenn hier, wo Menschen in behelfsmäßig zusammengezimmerten Hütten in Schlamm, Müll und Fäkalien leben müssen, zukünftig Wohnungen für die aufstrebende Mittelschicht gebaut werden sollen. Der Kollaps wird nicht anwendbar sein, sollte die Entwicklung so anhalten. Rikschafahrer, Tagelöhner, Straßenhändler, ohne festen Wohnsitz, immer bereit, den provisorischen Wohnsitz zu verlassen, zu weichen. Das Elend ist abstoßend und beschämend, die Lebensbedingungen mehr als unwürdig. Trotzdem, fast unvorstellbar, gibt es auch hier, abseits des täglichen Überlebenskampfes viel Freude, Liebe, Farben, spielende Kinder und Zusammenhalt…
Der Krieg in der Ostukraine geht in inzwischen in sein viertes Jahr. Seit 2014 kämpfen Regierungstruppen gegen Separatisten in den selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk, eine Lösung des Konflikts ist in weite Ferne gerückt, bis jetzt haben die immer noch andauernden Kämpfe im Donbas mehr als 10.000 Menschenleben gekostet. Zur Zeit streitet man über eine UN-Resolution zur Entsendung von Friedenstruppen, die vor allem die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schützen soll. Die OSZE überwacht die Einhaltung des immer wieder gebrochenen Waffenstillstandsabkommen von Minsk aus dem Februar 2015. Immer wieder werden Verstöße registriert, Schusswechsel entlang der Frontlinie und Mörserbeschuss sind Teil des Alltages geworden. Vor allem Kinder und junge Menschen leiden, für sie ist der Krieg zum ständigen Begleiter geworden, eine neue, willkürliche Grenze trennt Familien, Freunde, Bindungen. Sie wissen, wo Minenfelder zu meiden sind, haben ihre Nächte in improvisierten Luftschutzkellern verbracht; sie können verschiedene Munitionstypen am Klang unterscheiden und wissen, wie Artilleriefeuer klingt und wie nah oder fern die Einschläge niedergehen. Viele haben geliebte Menschen verloren oder sind durch schwere und schwerste Verletzungen für das ganze Leben gezeichnet. Ihre Kindheit und Jugend ist geprägt von Tod, Gewalt, Trauer und Einsamkeit. Die erste Kriegsgeneration im Europa des 21. Jahrhunderts.
Poppy wurde von ihren Eltern weggebracht, bevor sie 13 Jahre alt war. Ein Schicksal, wie es immer wieder in den armseligen Hütten der des Bordells auf der Insel Banishanta im südlichen Bangladesch erzählt wird. Man erzählte ihr, dass sie in einer Textilfabrik arbeiten wurde, aber sie fand sich eingesperrt in einem illegalen Bordell in Chittagong wieder, wo sie in einem Raum mit zwölf anderen unglücklichen Mädchen hausen musste. Als sie 18 Jahre alt geworden lief sie weg, mit etwas gespartem Geld. Ihre Eltern wollten sie nicht wiederzusehen. Der nächste verzweifelte Ort war dann die Insel Banishanta. Hier sitzt sie jetzt täglich vor einer kleinen Bambushütte, wo sie ihre Kunden empfängt und, starrt auf die schlammigen Fluten des mächtigen Poshur, angeschwollen in dieser Zeit des Jahres durch Regen und Schmelzwasser aus den fernen Bergen. Ihr Unterarm ist mit Narben übersät, sie schneidet sich selbst mit einer Rasierklinge, wenn sie sich traurig und allein fühlt. Banishanta, trotz des lokal verbreiteten Erzählung, dass obwohl es ein Bordell ist, die Mädchen hier Freundinnen, irgendeine Art von familiären Bindungen oder etwas Unterstützung finden können und dass es hier besser wдre als anderswo, ist es am Ende genau wie jeder andere Ort, an dem Frauen und Mädchen gezwungen werden, sich zu verkaufen. Aggressives Verhalten, Gewalt und Belästigung seitens der Behörden sind auch in Banishanta tägliche Routine. Die unvorhersehbaren Überschwemmungen sind eine ständige Bedrohung. Während des Monsuns trotzt die Insel den Starkregen, Wirbelstürmen und Flutwellen; und in der Trockenzeit gibt es paradoxerweise nicht genügend Trinkwasser, was vor allem der jahrzehntelangen Umweltverschmutzung und dem hohen Salzgehalt der Böden geschuldet ist. Aber der kleine Streifen Land von Banishanta ist einer der wenigen Orte in Bangladesch, wo Prostitution legal ist. Als der nahe gelegene Seehafen von Mongla um 1950 eröffnete, schien es der ideale Ort um das große Geld mit käuflicher Liebe zu machen. Während der Hochphase, arbeiteten und lebten hier mehr als 1000 Frauen und Mädchen, heute kämpfen noch ungefähr 100 Frauen jeden Tag gegen Ausgrenzung, Armut und die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels, der ihnen buchstäblich den Boden unter den Füßen streitig macht.
Der Grenzübergang Idomeni zwischen Griechenland und Mazedonien war bis vor kurzem ein weitgehend unbekannter Ort mit ungefähr 300 Einwohnern, die von Land- und Viehwirtschaft leben. Weitgehend unbekannt, bis die mazedonische Regierung beschloss, die Grenze zum Nachbarland abzuriegeln. In den letzten Monaten belegen die Mitarbeiter verschiedener UN-Organisationen, der Ärzte ohne Grenzen und anderer Hilfsorganisationen und Journalisten die Hotels, Pensionen und Privatzimmer in Idomeni, den umliegenden Dörfern und Kleinstädten. In der Provinzstadt Polikastro herrscht reges Treiben, die Cafés und Restaurants sind voll. Und alle sind hier wegen der neuesten Schande Europas: dem sogenannten Flüchtlingslager von Idomeni.
Auf einer Wiese und entlang der griechisch-mazedonischen Bahnverbindung leben seit vielen Wochen mehr als zehntausend Flüchtlinge, die hauptsächlich aus Syrien, dem Irak und Afghanistan stammen. Sie sind hier gestrandet, doch ihre Hoffnung auf eine Weiterreise nach Nordeuropa fand hier ein Ende, vor Stacheldrahtzaun, vor Grenzpolizei, gepanzerten Fahrzeugen und Tränengas. Was die Menschen hier, im Gegensatz zu Beobachtern und Helfern, die nach Tagen oder Wochen wieder in ihre Häuser und zu ihren Familien zurückkehren, am leben erhält, ist einzig und allein die vage Hoffnung, die Grenze würde trotz aller widersprüchlichen Informationen doch wieder geöffnet.
Elend, Dreck, ständige Nässe, Kälte und der Mangel an Essen und Schlaf bestimmen das tägliche Leben. In den Tagen und Wochen nach der endgültigen Schließung der Grenze hat sich das Lager örtlich organisiert. Die letzten Abgewiesen harren über Tage teilweise unter freiem Himmel in unmittelbarer Nähe des Grenzzauns aus. Sie trotzen dem Dauerregen und der nächtlichen Kälte, unter den Blicken der griechischen Grenzpolizei.
Das Lager von Idomeni hat in einigen Wochen eine eigene Dynamik und eine eigene Topografie herausgebildet. Die Topografie der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit, der Entrechtung und der Entmenschlichung, die Topografie des Lagers.
Am meisten vermisse sie ihre Kinder, sagt die junge Frau im Tuberkulose-Krankenhaus in Balti. Sie wird hier seit über einem Jahr behandelt, multiresistente Tuberkulose. Noch ist kein Behandlungserfolg sichtbar, deshalb darf sie ihre Kinder bei den seltenen Besuchen auch nicht in den Arm nehmen. In einem anderen Flügel des Krankenhauses von Balti, ungefähr 150 km nördlich der Hauptstadt Chisinau gelegen, befindet sich die MDR-Station. Dort liegen die Fälle, die eine extreme Multiresistenz entwickelt haben, meist zu mehreren auf karg eingerichteten Zimmern. Hatte man vor seiner Einweisung keine multiresistente Tuberkulose, bekommt man sie hier von anderen Patienten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden mit den neuen Staaten auch neue Grenzen. Und diese verhinderten die Verteilung von Tuberkulose-Medikamenten, sodass an vielen Orten nicht alle notwendigen Medikamente vorlagen. Die Ärztenahmen die vorhandenen und behandelten weiter. Diese Art der Behandlung war unzureichend und es entstanden Resistenzen gegen verschiedenste Medikamente. Durch mangelhafte Diagnostik war in der Folgezeit unklar, gegen welche Medikamente die Resistenzen entstanden waren, sodass weitere herausgezüchtet wurden, so stieg der Anteil sogenannter multiresistenter Erreger immer weiter. Die betroffenen Patienten mussten mit den sehr viel schlechteren (und sehr viel teureren) Medikamenten der zweiten Linie behandelt werden, und auch gegen diese entwickelten sich sehr bald Resistenzen. Auch und besonders in den Gefängnissen leiden die Insassen in vielen Fällen an Tuberkulose. In den Zellen sind meistens mehrere Gefangene gleichzeitig eingesperrt, und wenn einer zu husten anfängt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die anderen ebenfalls anfangen.Das Elend und die fatalen Auswirkungen der Tuberkulose auf sämtliche Lebensbereiche der Betroffenen und ihrer Familien verschwinden oft hintere den epidemiologischen Zahlen und länderbezogenen Untersuchungen, wie zum Beispiel im Fall der 21-Jährigen Patientin Tatjana, die nach einer falschen Diagnose einen massiven TB-Ausbruch in Zusammenhang mit einer Nicht auskurierten Meningitis erlitt und nur 48 Stunden nach ihrer Noteinlieferung in das Zentralkrankenhaus in Chisinau verstarb. Sie hinterlässt eine einjährige Tochter, die jetzt von ihrer jüngeren Schwester aufgezogen werden muss. Ihre Familie, die sie manchmal mit etwas Geld für Essen unterstützte, lebt in bitterster Armut in einem kleinen Dorf in der Nähe der Grenze zwischen Moldawien und Rumänien. Ein Schicksal unter vielen...
Der Wakhan-Walkhan-Korridor im Nordosten Afghanistans ist auf drei Seiten umschlossen von leidenschaftslosem Gebirge und den undurchlässigen Grenzen zu Tadschikistan, China und Pakistan. Am Ausgang des Tales liegt die von den Taliban kontrollierte Stadt Ishkashim. Am Fuß von sprödem Fels und ewigem Eis haben nomadische kirgisische Hirten und beharrliche Wakhi-Bauern trotz allen Widrigkeiten nicht verlernt zu überleben.
In Bangladesch ergießen sich die großen Ströme Ganges, Brahmaputra und Meghna in den Golf von Bengalen. Auf ihrem Weg verzweigen sie sich in Abertausende Flussarme und bilden riesige Lagunen, darum erstrecken sich die größten Mangrovenwälder der Welt. Die Menschen in Bangladesch nennen sie Sundarbans, die „schönen Wälder“, eine entrückte, unzugängliche und schwer zu fassende Welte, zwischen Meer, Brackwasser und Inseln, gewachsen und geformt über Jahrtausende, im ständigen Wechsel von Ebbe und Flut, tropischen Stürmen und Zyklonen. In Ausdehnung und Artenreichtum ist es ein so einzigartiger Lebensraum, dass ihn die UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt hat. Aber wie lange kann das jetzt schon fragile Gleichgewicht noch erhalten bleiben. Illegale Rodung weiter Waldflächen, die Versalzung der Böden durch die riesigen Aquakulturen der Garnelenfarmer, Umweltverschmutzung, Stürme und der ständig steigende Meeresspiegel machen das Überleben der Menschen immer schwieriger…
Nach den Zwischenfällen und der Beschlagnahmung ukrainischer Schiffe durch russische Seestreitkräfte in der Straße von Kertsch im Asowschen Meer in diesen Tagen im späten November 2018 wird klar, wie schnell es im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu einer erneuten Eskalation kommen kann. Seit Mai 2018 verbindet eine Brücke das russische Festland mit der illegal annektierten Halbinsel Krim und bekräftigt Russlands Machtanspruch im Schwarzen Meer. Was macht die Brücke mit den Menschen vor Ort und was bleibt konkret von all den politischen Versprechungen und Hoffnungen? Nicht nur Stahl und Beton tragen die Konstruktion, es ist vor allem ein lange gehegtes und immer wieder vereiteltes historisches Versprechen, das endlich wahr geworden ist und für die Einen eine Art Lebenslinie nach Russland bedeutet, weckt sie bei den Gegnern Ängste und Resignation über die Zementierung eines unannehmbaren Zustandes.
Der albanische Strommarkt ist nach dem politischen Umbruch in der Krise. Stromausfälle, Stromdiebstahl, unbezahlte Rechnungen und Vandalismus sind an der Tagesordnung. Auch die Privatisierung der Stromversorgung hat nach dem Lizenzentzug für die tschechische CEZ einen schweren Rückschlag erlitten. Dabei nimmt Albanien mit seinen gewaltigen Ressourcen an Wasserkraft im Bereich regenerative Energien einen Spitzenplatz in Europa ein. Vor 50 Jahren sah die Situation noch ganz anders aus. Im von der Außenwelt hermetisch abgeschotteten kommunistischen Land wurden Ende der 60er Jahre innerhalb dreier Jahre die 1759 Dörfer Albaniens planmäßig elektrifiziert. Damals feierten die Dörfler enthusiastisch das „Licht der Partei“, das eine neue Epoche in der Entwicklung des albanischen Dorfes einleiten sollte. Die Elektrifizierung war vor allem ein Propagandaerfolg. Feste wurden veranstaltet, Lieder gedichtet und in jedem Haus erschallte fortan die „Stimme der Partei“: Radio Tirana. Dabei wurden die Schattenseiten des Fortschritts systematisch ausgeblendet. Denn der Entwicklungssprung war mit dem Schweiß und Blut „freiwilliger“ Arbeiter teuer erkauft.
Der Krieg zehrt an den Menschen in den ostukrainischen Kriegsgebieten. Tausende sind auf der Flucht. Viele leben zusammengedrängt in einigen Waggons der ukrainischen Eisenbahn auf dem Bahnhof von Slowjansk, ohne Licht, ohne Wasser, ohne Geld, viele haben Hunger, viele leiden an Krankheiten. Die Kämpfe zwischen den prorussischen Rebellen und der ukrainischen Armee wurden seit Herbst 2014 immer erbitterter geführt, die Städte, die jetzt innerhalb der befriedeten, von der ukrainischenArmee kontrollierten Zone liegen, sind mit den täglich ankommenden Flüchtlingen aus den umkämpften Gebieten schlichtweg überfordert.
Vom Friedensabkommen in Minsk und der vereinbarten, für die nächsten Tage angekündigten Waffenruhe erwarten die Menschen wenig oder gar nichts. Ihre Häuser und Wohnungen sind zerstört, viele Familien sind zerrissen, sie stehen vor dem Nichts.
Im äußersten Westen der Mongolei, im Altai-Gebirge, gehen kasachische Nomaden wie Spam Bashakhan und die Männer seiner Sippe mit Steinadlern auf die Jagd. Als Küken kommen die Raubvögel zu den Menschen und leben mit ihnen im Kreis der Familie. So lange, bis sie ihre Freiheit wiedererlangen. Die Geschichte von Spam Bashakhan ist die Geschichte einer Leidenschaft, die das ganze Leben bestimmt.
Das bevölkerungsreichste Land der Welt kämpft mit den Folgen seiner brachialen Industrialisierungspolitik. Die Modernisierungsgewinner reiben sich die Hände, die Verlierer bleiben auf der Strecke. Bilder einer Reise durch die Mitte des Landes, von der Metropolregion Chongqing Richtung Westen, entlang des Yangtze nach Hunan, ein Reisetagebuch über das Leben zwischen Moderne und Tradition.
Erhabene Landschaften, Stimmungen, Augenblicke… Eine kleine Auswahl von Bildern aus den Ostalpen, entstanden während verschiedener Reisen und Auftragsarbeiten, im Salzburger Land, Tirol, Südtirol, Osttirol, Kärnten und Slowenien.
Am 15. Dezember 2000, um 13 Uhr und 17 Minuten, wird der letzte Reaktorblock des Atomkraftwerks Tschernobyl abgeschaltet. Die Arbeiter, die anwesend sind, legen Blumen nieder, weinen.
Jewgeni Jaschin weint noch heute, wenn er sich daran erinnert. Nicht wegen den monatelangen Klinikaufenthalten nach dem Unfall von 1986, auch nicht wegen den schweren Folgen der Strahlenkrankheit, an denen er noch heute leidet. Er ist traurig, dass der Block endgültig vom Netz genommen wurde, in Tschernobyl keine Energie mehr produziert wird. Die Reaktorkatastrophe ist die größte Umweltkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Die durch die Explosion freigesetzte radioaktive Strahlung verseuchte große Teile des Kontinents und hatte schreckliche Auswirkungen, vor allem für die Menschen die in unmittelbarer Nähe gelebt hatten. Noch heute sind die Folgen sichtbar, wie in einem Heim für Kinder und junge Erwachsene mit körperlichen Missbildungen und geistiger Behinderung schmerzlich sichtbar wird.
Jeden Morgen fahren von hier über 4000 Menschen in die Zone, immer noch arbeitet man an der Beseitigung der Folgen der Katastrophe. Trotzdem haben viele ihre Arbeit verloren, viele Familien haben Slavutych bereits verlassen. Offiziell leben ca. 25.000 Menschen in der Stadt, doch sie scheint verwaist. Neuerdings kommen allerdings viele Japaner in die Stadt, die Zone um Tschernobyl „ist für sie jetzt wie eine Zeitmaschine, für Fukushima ist Tschernobyl ein Blick in die eigene Zukunft“.
Hunderttausende von Rohingya sind vor der Gewalt in Myanmar im August 2017 ins benachbarte Bangladesch geflohen. Die meisten leben seitdem in den inzwischen unüberschaubaren und scheinbar sich endlos hinziehenden Lagern von Kutupalong unter untragbaren Bedingungen. Seit September 2017 wurden in den Lagern über 16.000 Kinder geboren. Sie wachsen ohne Aussicht auf ein besseres Leben und ohne jegliche Zukunftsperspektive auf, die Geflüchteten sind an das Lager gebunden, dürfen Kutupalong nicht verlassen. Sie kennen nur Hunger, Durst, Mangel und Angst.
„Der Reigen der nackten Körper unter dem roten Himmel, und all diese sich bewegenden Schatten… als wären wir einer längst vergangenen Zeit, einem wilden Märchen entsprungen. Ist die elegante Gestalt in der Mitte der Stammeshäuptling? Nur seine Uniform wirkt deplatziert. Sie verfälscht das Bild. Mit einer sich ständig wiederholenden Bewegung des Daumens winkt er jede Minute einen Körper aus dem Reigen heraus. Sein Finger bewegt sich rhythmisch, und im selben Takt schrumpft der Reigen. Wir drehen uns immer schneller… und werden immer weniger. Wozu?
aus: Ana Novac, Die schönen Tage meiner Jugend
Alles was von der Siedlung Puerta de Hierro im Distrikt Moncloa-Aravaca in Madrid noch steht, sind zehn armselige Häuser. Hier, zwischen der Stadtautobahn, einer Kläranlage und einem Golfplatz finden sich die Trümmer von den Behausungen von mehr als 50 Familien, von denen nur noch vier hier ausharren. Zweihundert Menschen haben ihre Wohnstätte verloren, fünf Generationen von „gitanos“, wie sich die spanischen Roma selbst nennen, lebten seit 1961 auf diesem Gelände nahe Puerta de Hierro, jetzt sind nur noch die Betonfundamente der Häuser übrig, die von der Stadtverwaltung als informelle Siedlung eingestuft wurde, um das Gelände für Neubauten zu erschließen. Die ersten Häuser wurden bereits 2010 abgerissen, die meist nächtlichen Aktionen haben sich sporadisch bis ins Frühjahr 2013 immer wieder wiederholt. Meist wurden die Bewohner von Einsatzgruppen der Polizei im Morgengrauen aus ihren Wohnungen geholt, man teilte ihnen mit, dass das Haus im Laufe des selben Tages abgerissen würde, in manchen Fällen gab es eine gerichtliche Verfügung, in anderen wurde nicht einmal diese Formalität eingehalten. Die offizielle Rechtfertigung für das Vorgehen der Stadtverwaltung war es, gegen soziale Ausgrenzung und Armut vorzugehen, obwohl es sich um eine Siedlung mit funktionierender Wasser- und Stromversorgung handelte, alle Kinder der Bewohner die Schule besuchten und es keine Fälle von Drogenmissbrauch oder ähnlichem gegeben hatte. Die meisten der 300 Bewohner lebten vom Schrotthandel. Die Verwaltungg sah vor, die Familien in Neubauwohnungen umzusiedeln, allerdings konnten nur 16 der Familien die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, um zugelassen zu werden. Amnesty International sprach wiederholt von Verstößen gegen die Menschenrechte, in vielen Fällen wurde bei den überfallartigen Abrissaktionen keine Rücksichtt auf die Menschen genommen, einmal verlor eine Frau nach einem Nervenzusammenbruch ihr Kind während der Schwangerschaft, eine andere Mutter von drei Kinder war in psychiatrischer Behandlung und die 8-jährige Shakira, eine der Protagonistinnen dieser Geschichte, litt an einer schweren Krebserkrankung und ist inzwischen verstorben. Obwohl sie meist bettlägrig war, wurde ihre Familie eines Morgens aus ihrem Haus vertrieben und musste in den darauffolgenden Stunden zusehen, wie die Abrissbirnen alles bis auf die Grundmauern zunichte machten.
Hoffnung und Gleichmut, stilles Leiden ohne schuldzuweisende Klage. Im frankophonen Westafrika gibt es den beliebten Gruß "Comment ça-va avec le douleur?" - "Wie geht es mit dem Schmerz?" Diese Einstellung habe auch ich in den von Dr. Gordon Jones in den 1970er Jahren gegründeten Missionskrankenhäusern in Luampa und Elim (Zambia) kennengelernt. Missionare, Klinikpersonal und einheimische Bevölkerung formten sich dort zu einer neuen Gesellschaft, von der ein Teil an jahrzehntelang erprobten Tradition festzuhalten versuchte, während die Innovation der Neuankömmlinge, die das Dorfleben nachhaltig verändern sollten, auch dankbar angenommen wurden. Eine Kehrseite des christlichen Missionseifers bleibt dabei, dass diese unreife Symbiose zwischen gewachsenen Sozialstrukturen und westlicher Zivilisation problematische, mitunter groteske Resultate hervorbrachte – Kulturchauvinismus und Fundamentalismus. Ohne die unschätzbaren Leistungen der Seelsorger würden aber die dort behandelten Krankheiten fast immer den sicheren Tod bedeuten, während sie mit Medikamenten leicht zu heilen sind. Das größte Problem, die hohe Rate an HIV-infizierten Patienten, bleibt jedoch ein Tabu-Thema, da die Krankheit in den Augen der Missionare immer noch als eine "Strafe Gottes" angesehen wird.