Jedes Jahr finden sich zehntausende Chassidische Juden aus aller Welt in der ukrainischen Stadt Uman (ca. 90.000 Einwohner), 210 Kilometer südlich der Hauptstadt Kiew ein, um Rosh Hashanah, das jüdische Neujahrsfest zu feiern. Rosch ha-Schana fällt nach dem jüdischen Kalender auf den 1. Tischri, dem siebten Monat des religiösen jüdischen Kalenders, der nach dem gregorianischen Kalender in den September oder in die erste Oktoberhälfte fällt. Das genaue Datum wechselt von Jahr zu Jahr. Die Pilger finden sich am Grab von Rabbi Nachman ein, dem Enkel des Begründers des Chassidisimus, Baal Shem Tov, der die Bewegung wiederbelebt hat und die mystische, kabbalistische Strömung mit dem Studium der Thora in Einklang brachte. Der Legende zufolge, nach dem sein Haus ein Breslau während eines Brandes zerstört wurde, kam er auf Einladung von Juden aus Uman in die Stadt und verkündete, dass Uman ein guter Platz für eine letzte Ruhestätte sei, da dort die Tausende Juden begraben liegen, die 1768 einem Pogrom zum Opfer fielen. Am letzten Rosh Hashanah seines Lebens soll er seinen Anhängern gesagt haben, dass er sie sich jedes Jahr zu diesem Fest in seiner Nähe wünschte. Nach der Revolution 1917 wagten die Pilgerfahrt nur noch vereinzelte Gläubige. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckte ein Rabbiner aus New York das Grab des Rabbis, die ersten Reisen waren noch illegal, in den letzten Jahren der Existenz der Sowjetunion gab es bereits von Intourist organisierte Reisen. Bereits Gorbatschow erlaubte 1988 200 israelischen Chassidim die Fahrt nach Uman, um dort das jüdische Neujahrsfest zu begehen. Nach dem Kollaps der Sowjetunion entwickelte sich die Stadt zur wichtigsten Pilgerstätte der Chassidim, offizielle Zahlen sind schwer zu bekommen, in diesem Jahr kursierte die Zahl von bis zu 50.000 Pilgern. Uman entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einem bedeutenden jüdischen Zentrum. Vor der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg waren mehr als 60% der Einwohner Juden. Die Nazis deportierten nahezu alle Juden Umans, über 15.000; auch der jüdische Friedhof wurde eingeebnet, man versuchte die Geschichte der Chassidischen Juden auszulöschen. Adolf Hitler und Benito Mussolini besuchten gemeinsam die Front bei Uman, um unter anderem ein italienisches Expeditionskorps zu besuchen. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten findet an einem kleinen See in unmittelbarer Nähe der Puschkin-Straße statt, am Abend des zweiten Tages des Neujahrsfestes. Zu Tausenden finden sich die Pilger am Ufer ein, um sich von ihren Sünden zu lösen. Das geht zurück auf die Tradition des Taschlich, wo es heißt „Du sollst werfen“, die symbolische Lossagung von angehäuften Sünden in ein Gewässer während des Neujahrsfestes Rosh Hashanah. So ist es Tradition am Nachmittag des ersten Tags des Neuen Jahres, in diesem Jahr am zweiten Tag, da Rosh Hashanah auf einen Schabet gefallen ist, an einen See oder einen Fluss zu gehen, um sich seiner Sünden zu entledigen. Am ersten Tag ist die Nacht erfüllt von Gesang und Musik. Auf den Plätzen und auf der Straße wird getanzt, in der unmittelbaren Umgebung der zentralen Synagoge, wo sich das Mausoleum des Rabbi befindet wiegen die Gläubigen vor und zurück, rezitieren Passagen aus der Thora, singen, beten geraten in ekstatische Zustände. Es ist ein Fest der Dankbarkeit, man spürt die Erfüllung, was diese Pilgerreise für die Gläubigen bedeutet und sieht das Glück in den Augen der Menschen, die sich auf der Puschkin-Straße drängen. Das gesungene Gebet, der Niggun, war Rabbi Nachman ein wichtiges Anliegen, eine Abfolge der Niggunim entspricht dem Universum selbst, aus der Hingabe ergibt sich ein großes Glücksgefühl und ein direkter Zugang zum Schöpfer selbst. Der größte Andrang herrscht in der Synagoge, die um das Grab des Rabbi errichtet wurde. Dort wird Tag und Nacht gebetet und aus der Thora gelesen. Frauen sind nicht erlaubt auf dem heiligen Grund, es gibt strenge Regeln, auch Sephardische und Aschkenasische Juden beten getrennt. Hotels und Pensionen sind weit im voraus ausgebucht. Viele Einwohner der Stadt vermieten ihre Wohnung an Pilgergruppen und ziehen zu Verwandten. Auch zur Verfügung stehende Hallen werden zu temporären Synagogen umfunktioniert. Ungefähr 2000 Euro lassen sich viele den Aufenthalt über ungefähr fünf Tage in einer Privatwohnung kosten. Für die Stadt Uman ist die Pilgerfahrt inzwischen ein Großereignis, von dem man einige Monate zehren kann. War es früher noch ein Abenteuer, nach Uman zu kommen, übernehmen heute Touristikunternehmen die Logistik und bringen die Pilger vom Flughafen direkt in das heilige Areal.